Bergische MomenteThemen

Wendsche Kitzrettung

Wer um 4 Uhr morgens bereits an der frischen Luft unterwegs ist, macht dies meist nicht ohne guten Grund. Oft geschieht das eher aus beruflichen Gründen. Auch wir haben uns am letzten Donnerstag (25.05.2023) früh aus dem Bett gequält und herausgefunden, was die Ortsansässigen aus Wenden und Umgebung auf die Beine bringt: Die Wendsche Kitzrettung. Im Mai und Juni sind hier etwa 70 Personen immer wieder unterwegs, um Rehkitze und andere junge Wildtiere aus den Wiesen in Sicherheit zu bringen.

(ANZEIGE ARKM.marketing)

Das Rehkitz und die Heuernte

Werden rund um die Dörfer die Wiesen gemäht, um das Heu an Nutztiere verfüttern zu können, droht den meisten ausgewachsenen Wildtieren keine Gefahr. Egal, ob Reh, Hase oder Wildschwein, sie bringen sich selbst in Sicherheit, wenn sich Menschen oder Maschinen nähern. Anders sieht es mit einigen Jungtieren aus, ganz vorn dabei: Rehkitze, die es jedes Jahr je nach Wetterlage im Mai und Juni gibt. Ricken legen ihre Kitze im hohen Gras ab, um sie dort vor Gefahren zu schützen und kommen regelmäßig wieder, um sie zu säugen. In der Zwischenzeit ducken sich die jungen Wildtiere im Gras instinktiv, wenn sich eine Bedrohung nähert. So sind sie nahezu unsichtbar für potentielle Fressfeinde – und leider auch für den Landwirt, der seine Wiese mäht. Für viele Rehkitze bedeutet das jedes Jahr den Tod.

Vielerorts gibt es deshalb die sogenannte Rehkitzrettung: Jägerschaft und weitere freiwillige Helfer stehen früh morgens auf und laufen die nassen, hohen Wiesen ab, die gemäht werden sollen. Dieses Vorgehen ist allerdings nicht nur sehr ungemütlich, sondern auch sehr zeitaufwändig und zeigt auch nicht immer den gewünschten Erfolg. Geht man die Wiesen nicht dicht genug ab oder sieht im Halbdunklen nicht genau genug hin, kann schnell ein Kitz übersehen werden. Dazu dauert es einige Zeit, bis alle Wiesen, die gemäht werden sollen, abgegangen sind.

2023-05-31-Kitzrettung
Quelle: ARKM Archiv

Smarter gehen die Ehrenamtler bei der Wendschen Kitzrettung vor. Wie auch bei der herkömmlichen Kitzrettung sind sie gut ausgestattet mit Gummistiefeln und dicker Kleidung, denn wie wir selbst hautnah erlebt haben, kann es morgens um vier Uhr in der einen oder anderen Ecke noch frieren. Sie verfügen jedoch auch über eine Geheimwaffe: Wärmebilddrohnen, über die sie die Rehkitze deutlich effektiver auffinden und in Sicherheit bringen können. Michael Sommer, selbst freiberuflicher Förster und Initiator der Wendschen Kitzrettung, hat uns zu einem Einsatz mitgenommen.

Kitzrettung mit Wärmebild

Am frühen Morgen ist die Kitzsuche über die Wärmebilddrohne tatsächlich am einfachsten. Der Boden wurde noch nicht durch die Sonne erwärmt, sodass sich die Kitze auf dem Schwarz-Weiß-Bildschirm deutlich von ihrer Umgebung abheben. Manchmal erkennt man auch Wühlmäuse oder Stellen, an denen ein Kitz kurz zuvor noch gelegen hat, durch die sensible Kamera. So stehen die Kitzretter nicht nur früh auf, damit der jeweilige Landwirt mit seiner Arbeit beginnen kann, sondern auch, um möglichst keinen Fehler bei der Rettungsmission zu machen.

Eine Gruppe der Kitzrettung findet sich vor der Mahd und immer in Absprache mit dem Landwirt an den Wiesen ein und lässt die Wärmebilddrohne eine vorprogrammierte Route über die Wiese fliegen. Dabei beobachten sie alles genau über einen oder mehrere kleine Bildschirme. Entdecken sie ein Kitz, unterbricht der Drohnenpilot die Route, um noch einmal genauer nachzusehen.

Ist ein Kitz entdeckt, wird es Zeit, sich Handschuhe anzuziehen; Das Kitz sollte nicht nach Menschen riechen, sonst kommt das Muttertier unter Umständen nicht zurück oder stößt es ab. Zusätzlich wird Gras gesammelt und in einen Korb gelegt. Gewappnet mit Korb und Handschuhen machen sich die “Sammler” der Gruppe auf den Weg. Über Rufe oder Funk lenkt der Drohnenpilot sie zu dem Kitz, das oft so gut versteckt ist, dass die Retter ihre Hände ausstrecken, damit der Pilot ihnen Bescheid sagen kann, wenn ihre Hände über dem Kitz sind. Die jungen Tiere liegen ganz still im hohen Gras, blinzeln aus großen, verschlafenen Augen und erschrecken sich sichtlich, wenn die Kitzretter sie in den Korb heben. Ein Fluchtversuch kommt dennoch eher selten vor und ist eher ein Zeichen davon, dass das Kitz bald nicht mehr auf seine Mutter angewiesen sein wird.

Mit Kitz im Korb machen sich die Kitzretter dann auf den Weg zu den Grünstreifen am Rand der Wiese. Hier wird der Korb über das Kitz gestülpt und mit Heringen befestigt, damit das Jungtier nicht direkt wieder in die Wiese läuft oder sogar von seiner Mutter dorthin geführt wird. Ist der Landwirt mit der Mahd fertig, sammelt er den Korb wieder ein und das Kitz ist frei.

Quelle: ARKM Archiv
Quelle: ARKM Archiv

Obwohl die Wärmebilddrohnen der Wendschen Kitzrettung die Arbeit offensichtlich sehr erleichtert, ist dieses Ehrenamt eines der härtesten, die wir bisher beobachtet haben. Viele Kitzritter sind in Vollzeit berufstätig und/oder haben Familie, um die sie sich kümmern müssen. Dennoch stehen rund 70 Freiwillige, davon 10 Drohnenpiloten, regelmäßig in aller früh auf, um sich durch Nässe und Kälte zu schlagen. Die Länge eines Einsatzes variiert je nach der Größe des abzusuchenden Gebiets, manche Einsätze dauern über zehn Stunden. Wer hier unterwegs ist, ist mit Herzblut bei der Sache.

Dabei haben die Kitzretter ganz unterschiedliche Interessen: Manche interessieren sich für die Technik der Wärmebilddrohnen und genießen es, die teure Ausrüstung steuern zu dürfen. Andere haben Mitgefühl mit den Kitzen, die keinem sinnlosen Tod zum Opfer fallen sollen. Alle zusammen eint jedoch ihre Mission und die Verantwortung, die sie tragen; Groß ist die Sorge, ein Kitz zu übersehen oder die Drohnen zu beschädigen. Es ist jedoch niemand mit dieser Aufgabe allein.

Obwohl der Verein immer für neue Mitglieder offen ist, herrscht bei der Wendschen Kitzrettung kein Mangel. “Alle, die mal ein Kitz in der Hand gehalten und den Herzschlag gespürt haben, sind auch wieder gekommen“, so Michael Sommer. Interessierte können sich dennoch melden bei:

Wendsche Kitzrettung:
Michael Sommer
Gutehoffnungsring 70
57482 Wenden
E-Mail: kontakt@wendsche-kitzrettung.de

 

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Ich willige ein, dass meine Angaben aus diesem Kontaktformular gemäß Ihrer Datenschutzerklärung erfasst und verarbeitet werden. Bitte beachten: Die erteilte Einwilligung kann jederzeit für die Zukunft per E-Mail an datenschutz@sor.de (Datenschutzbeauftragter) widerrufen werden. Weitere Informationen finden Sie in unserer Datenschutzerklärung.

Schaltfläche "Zurück zum Anfang"